Kunstunterricht im SFS

Von der Buntheit im Leben und einem etwas anderen Kunstunterricht…

Dienstagmorgen, 8.45 Uhr - noch etwas verschlafen setzt sich eine Gruppe Mädchen in Begleitung ihrer Kunstlehrerin in Bewegung. Das Ziel: der Schul-Keller. Was im ersten Moment eher düster anmutet, täuscht:

Mit dem typischen Piepsgeräusch eines Transponders öffnet sich die verglaste Tür und legt den Blick auf sechs große Werkbänke frei, an denen die Mädchen nun Platz nehmen. Bunte Spuren von Farbflecken darauf zeugen von einer regen kreativen Aktivität, die hier mehrmals wöchentlich stattfindet. Neben einer Schrankfront fällt der Blick auf eine Malwand, wo noch unfertige großflächige Kunstwerke angebracht sind. Aus einem großen Waschbecken ragen Pinsel aller Art und Größe. Der Raum wirkt trotz des trüben Kellerlichts freundlich. Kurz darauf beginnt der Unterricht mit einem Anfangsritual, dem Emotionsbild…

Emotionsbild

 

Der Kunstunterricht allgemeinbildender Schulen ist meist auf die Vermittlung von bestimmten Techniken fokussiert. In der Schule des St. Franziskusheims hingegen steht überwiegend der „Prozess der Kunstgestaltung“ und nicht ein möglichst „schön“ und technisch „gut gelungenes“ Kunstwerk als zu bewertendes Ergebnis im Mittelpunkt. Hier hat das Malen eine eher entlastende Funktion, wobei für besonders talentierte und interessierte Mädchen stets auch die Möglichkeit besteht, ihr künstlerisches Können weiter zu üben und zu verfeinern.

Freies Thema Acryl

 

Eine große Bandbreite unterschiedlichster Materialien wie Acrylfarbe, eine bunte Sammlung an Stiften sowie Papiere und Zeichenmaterialien aller Art stehen den Mädchen auf Anfrage zur Verfügung. Ergänzt wird diese Palette an Möglichkeiten durch Pastellkreiden mit und ohne Öl, Aquarellfarben, Ton- oder Modelliermasse, sowie Holzplatten, in welche Formen und Sprüche eingebrannt werden können. Sehr beliebt sind leuchtkräftige Aquarelltinten, mit denen sehr intuitiv – also endlich mal völlig „planlos“ - gearbeitet werden darf. Für die allermeisten Mädchen stellt diese unkontrollierbare und sich verändernde Fließtechnik (ein Zustand, den es im echten Leben ebenfalls immer wieder zu akzeptieren gilt) zunächst eine große Herausforderung dar: Nicht nur den Mädchen der Alexia-Schule fällt es dabei schwer, sich von ihrem jahrelang antrainierten Perfektionismus oder blockierenden Glaubenssätzen („Mein Bild muss auf jeden Fall gut werden und gefallen!“) zu lösen. Einige, die anfangs glaubten „Ich kann doch gar nicht malen“ oder „ich mag keine Kunst“ sind nicht selten kurze Zeit später inmitten von Farbpinseln oder Pipetten in einem Flow versunken oder überraschen durch eine ungekannte Ausdauer, die Fachkollegen innerhalb ihres regulären Mathe- oder Geschichtsunterrichts mitunter vergebens suchen.

 

Blick aus dem Fenster

 

Eine bedeutsame Übung ist das bereits erwähnte Emotionsbild, das in (fast) jeder Kunststunde als Anfangsritual dient. Der Auftrag ist stets derselbe: „Male, wie du jetzt und heute hier bist“. Als einzige Materialien dienen öl-freie Pastellkreiden, die sich sehr leicht anwenden und unkompliziert mit den Fingern auf einem dicken Din-A4-Bogen verwischen lassen. Nicht nur für die Kunstlehrerin ist es immer wieder faszinierend und berührend, wenn eine ausdrucksstarke Ornamentik, bestimmte Dinge oder erlebte Situationen auf dem Papier erscheinen – spontan, manchmal als diffuse Zeichen aus dem Unbewussten. Diese Phase wird durch sanfte Musik begleitet, die von eingefleischten Rap-Liebhaberinnen meist zunächst argwöhnisch kommentiert wird. Doch im Laufe der Zeit lassen sich die meisten darauf ein, weil sie das Ritual als Möglichkeit zur Spannungsentladung schätzen gelernt haben. Ein adäquater Umgang mit unangenehmen oder belastenden Gefühlen des Alltags darf hier in einem geschützten Rahmen eingeübt werden.

Liebe

 

Dieses Ausdrucksmalen mit Pastellkreiden dient einerseits als entlastendes Ventil für vielfältige (nicht selten abgespaltene) Emotionen und andererseits auch zur Stärkung des vielleicht „angeknacksten“ Selbstwertes. Durch aktive Kunstgestaltung erhalten die Mädchen die Chance, (zurück) in eine Selbstwirksamkeit zu kommen, autonome Entscheidungen zu treffen („Mit welcher Farbe male ich heute?“), vergessene oder noch ungeahnte Ressourcen zu entdecken und damit letztendlich ihr eigenes Ich, ihr Persönlichkeitsbild, zu stärken.

 

Intuitives Malen

 

Vielleicht stellt sich nun die Frage: Müssen dann im Zeugnis eigentlich keine Noten für das Fach Bildende Kunst eingetragen werden? Doch. Auch an der Alexia-Schule ist der Kunstunterricht Teil des Lehrplans. Als Kunstlehrerin ist es immer wieder ein Zwiespalt, Kunstwerke mit Noten „bewerten“ zu müssen. Es besteht dabei Sorge, das Ergebnis wieder zu sehr in den Fokus rücken zu müssen und dadurch den freien Ausdruck zu blockieren. Gelöst wird dieser Umstand, indem vereinzelte Themen nach vorheriger Ankündigung benotet werden, genauso wie der materialgerechte Umgang, Sauberkeit und Verhalten in die Note einfließen.

Bild entfernt.

 

In der überwiegenden Unterrichtszeit dient die Kunststunde jedoch als experimenteller Raum für individuelle Gestaltungen – je nach Tagesverfassung. Die Lehrkraft steht den Mädchen dabei als kompetente Begleiterin zur Verfügung und gibt – je nach individuellem Bedarf - sachkundige Impulse oder konkrete Anleitungen. Im Anschluss an eine aktive Phase besteht die Möglichkeit, z.B. über Erfahrungen beim Malprozess, über die auf dem Bild entstandenen Objekte oder auch über spontan aufgetretene Gefühle zu sprechen.

Malen im Freien

 

Die meisten Mädchen kommen jedenfalls gerne in den Malkeller, den sie mittlerweile als eine Art „geschützten Raum“ und „Oase der Ruhe“ zu schätzen gelernt haben. Oftmals treten (v.a. beim Malen des Emotionsbildes) spontane Gefühlswallungen zu Tage, die in der Regel gut aufgefangen werden können, entweder durch die Lehrkraft oder den Halt der Gruppe. Somit hat der Kunstunterricht – bis zu gewissen Grenzen (wie z.B. das versehentliche Aufdecken von Traumata) – gleichzeitig auch eine gewisse therapeutische Funktion. Die meisten Mädchen lassen sich gut und gerne darauf ein. Falls ein allzu „schweres“ Thema auftaucht, steht die Kunstpädagogin in engem Kontakt zum heiminternen psychologischen Dienst und nimmt notfalls zeitnah Kontakt zu den zuständigen Psychologinnen und dem Erzieherteam auf.

Ressourcenbild

 

Durch den Kunstunterricht werden die Gänge der Alexia-Schule mit vielen individuellen Kunstwerke geschmückt, kein Bild gleicht dem anderen. So besticht die Raumatmosphäre durch ein farbenfrohes Sammelsurium – so lebendig und bunt wie eine Schulgemeinschaft eben ist.

 

Renate Schmitt, Kunstpädagogin  an der Alexia-Schule